Sex Is A Wonderful Habit und "Schweine mit Flügeln"

1976 erschien das erste Buch von Lidia Ravera


"Schweine mit Flügeln". 

Es wurde weltweit zum Bestseller. Mit einem Freund schrieb Ravera in nur zwei Wochen ein fiktives Tagebuch, in dem ein Mädchen und ein Junge ihre sexuellen Erfahrungen beschreiben. 

Ravera wollte erreichen, dass Jugendliche endlich ohne Scham über freie Liebe, Masturbation und Homosexualität redeten. Das Buch kam zunächst wegen angeblicher Pornografie auf den Index, wurde später wieder freigegeben. 

Allein in Italien sind bislang zweieinhalb Millionen Exemplare verkauft worden. Frisch wie ein Salatkopf. Kein Buch wurde so häufig aus der Schulbibliothek geklaut: Mit ihrem Sex-Tagebuch "Schweine mit Flügeln" schockte Lidia Ravera einst Italien - und landete wegen angeblicher Pornografie sogar auf dem Index.

Auf "eines tages" verrät sie, warum Frauen ihrer Generation heute plötzlich keine Achtundsechziger mehr gewesen sein wollen. Nach 40 Jahren gibt es kaum noch weibliche Zeitzeugen der Achtundsechziger-Revolte. Nicht etwa, weil sie tot wären. 

Nein, sie sind abgetaucht, weil sie ihr Alter nicht preisgeben wollen. Diese Frauen müsste man mit dem Metalldetektor suchen. Auch die Männer haben auf einmal ein Problem mit dem Älterwerden. "Ich war damals noch ganz klein", sagt inzwischen so gut wie jeder, der 1968 mit dabei gewesen war. Wie komisch, denke ich dann, fand die Revolte etwa nur in den Kindergärten statt? 

Ich war damals tatsächlich noch sehr jung, immerhin ging ich aber schon aufs Gymnasium. 1968 hat meine eigene Biografie stark geprägt. Als ich gerade den Kopf aus der Kindheit herausstreckte, entstand eine Bewegung, die ihre Jugend als Abenteuer erlebte. Anders als die Generationen vor uns warteten wir nicht darauf, den Platz unserer Väter oder Mütter einzunehmen. 

Für mich als Tochter aus bürgerlichem Haus 

hätte das bedeutet, wie meine Mutter einen Akademiker zu heiraten und zwei Kinder zu bekommen. Stattdessen riss ich mit 18 erst mal von zu Hause aus. Freie Liebe, Masturbation und Homosexualität: Zwischen meiner Generation und der meiner Eltern lag als große Zäsur der Zweite Weltkrieg. 

Als ich in den fünfziger Jahren geboren wurde, erlebte Italien sein Wirtschaftswunder und war kein Agrarstaat mehr. Ich bin so alt wie das Fernsehen, meine Eltern hingegen gingen in ihrer Jugend noch nicht einmal ins Kino. 

Die Achtundsechziger-Bewegung hat die Kluft zwischen den Generationen weiter vergrößert und ihr erstmals einen politischen Wert beigemessen. Ich habe 21 Romane geschrieben, die allesamt von der Achtundsechziger-Generation handeln, sie sind eine Art kollektive Autobiografie. 

1976 erschien mein erstes Buch, "Schweine mit Flügeln", das weltweit zum Bestseller wurde. Mit einem Freund, Marco Lombardo Radice, schrieb ich in nur zwei Wochen ein fiktives Tagebuch, in dem ein Mädchen und ein Junge ihre sexuellen Erfahrungen beschreiben.  

Wir wollten erreichen, dass Jugendliche endlich ohne Scham über freie Liebe, Masturbation und Homosexualität reden konnten. Das Buch kam zunächst wegen angeblicher Pornografie auf den Index, kursierte aber in Raubdrucken, bis das Verbot aufgehoben wurde. 

Allein in Italien sind bislang zweieinhalb Millionen Exemplare verkauft worden. Das Private ist politisch: Noch immer spricht "Schweine mit Flügeln" viele Jugendliche an. Kein Buch ist so häufig aus Schulbüchereien geklaut worden. Für mich ist das ein guter Rekord. In verschiedenen Generationen machen junge Leute offensichtlich ganz ähnliche Lebenserfahrungen. 

Politik spielte für uns damals allerdings eine wichtigere Rolle. Eine der ersten Lektionen, die ich lernte, bestand darin, dass das Private politisch ist. Wir haben erkannt, dass sich das Unbehagen des Einzelnen immer in den Erfahrungen eines Kollektivs widerspiegelt. 

Dieses Wir-Gefühl hat die heutige Jugend verloren. Sicherlich waren wir Linken sehr idealistisch und auch etwas naiv. Wir glaubten an eine bessere Zukunft und kämpften für eine Gesellschaft, in der es gerechter zugehen würde. 

Meine Kinder haben diese Hoffnung nicht mehr. Sie sehen die Erde auf eine Umweltkatastrophe zusteuern und rechnen damit, dass die globale Armut die kleine, alte Welt der Reichen unter sich erdrücken wird. Anders als wir damals haben die Jugendlichen inzwischen nicht mehr die Illusion, die Welt verändern zu können. 

Sie haben damit sogar Recht. Dennoch tun sie mir leid, denn ich hatte eine faszinierende Jugend, die mich innerlich gestärkt hat. Heute lebt jeder isoliert für sich, auch das Internet kann keinen echten Zusammenhalt stiften. Wäre die Lage auf dem Arbeitsmarkt in Italien früher so prekär gewesen wie heute, hätten wir dagegen immer wieder auf der Straße protestiert. 

Heute denkt jeder zuerst daran, wie ihn persönliche Beziehungen weiterbringen können. Junge Menschen haben aber kaum noch die Chance, sozial höher aufzusteigen als ihre Eltern. 

Frauen als ewige Teenager: Auch für Frauen hat sich das Blatt nicht zum Besseren gewendet. 1968 hat ihnen nicht automatisch die Gleichberechtigung gebracht. Unsere linken Genossen diktierten uns, was wir schreiben sollten, und ließen uns Flugblätter vervielfältigen. Wir wurden genauso diskriminiert wie vorher auch. 

An meiner Schule bewerteten die Jungs die Mädchen danach, wer den schönsten Busen und den schönsten Hintern hatte. Nicht ohne Grund ist der Feminismus aus der Achtundsechziger-Bewegung entstanden. Unsere Ziele haben wir bisher jedoch nicht erreicht. In der Gesellschaft haben Frauen nach wie vor eine untergeordnete Rolle. 

Das beste Beispiel dafür ist die Tatsache, dass wir nicht altern dürfen. Wir haben keinen kulturellen Stellenwert, sondern werden als Teil der Natur betrachtet. Während Männer mit zunehmendem Alter tüchtiger, mächtiger und reicher werden, müssen wir immer so frisch aussehen wie ein Salatkopf. Wir sind gezwungen, unsere Jugend zu konservieren und ewige Teenager zu bleiben. In Italien haben Frauen weiterhin nicht die gleichen beruflichen Chancen ... 

https://www.abebooks.de/buch-suchen/isbn/9783498056834

aus:  https://www.spiegel.de/geschichte/achtundsechziger-in-italien-a-949185.html

 

Erlkoenig sagt: 

Dieses "sexual-politische Tagebuch" zweier italienischer Jugendlicher liest sich wie ein historischer Roman aus ferner Zeit: 

1976 war sexuelle Befreiung angesagt, aber die (marxistische) Polit-Analyse durfte dabei nie fehlen. So war das eben nach ´68. Zum Glück siegt der Sex meist über die graue Theorie, und Roccos schwules Coming-out (Italien, 1976 - aber hallo!) hat heute noch etwas Beflügelndes... (to, "die schwulen Buchläden", 92/I)

Ergänzung, Stand 2013: Wenn ich mir jetzt meine Kurzrezension von 1992 ansehe, wird´s mir ein wenig mulmig: 1992 hatten die "Schweine mit Flügeln" eine leicht nostalgisch-betuliche Anmutung in ihrem pioniergeistigen "Befreit die Sexualität!". 

Gott-sei-Dank waren die Zeiten nicht mehr derart verklemmt, dass man so revolutionär dagegen aufbegehren musste - und dass das Buch durchaus Probleme mit Moralaposteln und Justiz hatte, wirkte 1992 geradezu putzig! 

Gut 20 Jahre später fragt man sich, ob bei einer eventuellen Neuauflage das Alter der Protagonisten (16 nämlich) nicht ein bisschen nach oben geschummelt werden sollte, um Ärger mit dem einen oder anderen "Kinderschutzparagraphen" zu vermeiden. Grummel :-(

 

 Gut sechzig Jahre später

kennen wir die Zwischenstufen der Bisexualität, und welche Bücher berichten aus den Bewegungen seit der Zeit?


Die Indiani Metropolitani[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gründungsdokument der Stadtindianer von Rom war ihr Manifest, das am 1. März 1977 in der Zeitung Lotta Continua veröffentlicht wurde:

„Lange haben wir um den Totem unseres lichten Wahnsinns getanzt (...) Die Zeit der Sonne und der tausend Farben ist angebrochen. Es ist die Zeit, daß das Volk der Menschen in die grünen Täler hinabsteigt, um sich die Welt zurückzuholen, die ihm gehört. 

Die Truppen der Bleichgesichter mit ihren blauen Jacken haben all das zerstört, was einst Leben war, sie haben mit Stahl und Beton den Atem der Natur erstickt. Sie haben eine Wüste des Todes geschaffen und haben sie 'Fortschritt' genannt. (...)“ (Indianer und P38, S. 85)

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